Intim und respektabel. Aushandlungen von Homosexualität und Freundinnenschaft in der deutschen Frauenbewegung 1870 bis 1914
Feminismus
Bewegungsforschung
Bewegungsgeschichte
Sexualitätsgeschichte

Die vorliegende Arbeit widmet sich der Aushandlung intimer Beziehungen in der ersten Frauenbewegung in Deutschland zwischen den 1870er-Jahren und dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Die vielfältigen Beziehungen innerhalb der Frauenbewegung waren davon gekennzeichnet, dass sich darin professionelle, politische und private Praxen und Kommunikationen häufig überschnitten. Viele Aktivistinnen organisierten sich nicht nur in Vereinen und Verbänden, sondern lebten auch in frauenbezogenen Lebensmodellen – sei es in einer Frauenpaarbeziehung, in homosozialen Wohngemeinschaften, wie Frauenheimen oder Damenwohnungen, oder als Freundinnen, die vielleicht nicht zusammenwohnten, aber dennoch ihr Leben miteinander teilten, gemeinsam politische Projekte verwirklichten und zusammen verreisten. Die Frauenbewegung war also nicht nur ein Ort politischer Auseinandersetzung, sie brachte auch einen sozialen Raum und eine Frauenkultur hervor, in denen es zahlreiche Möglichkeiten gab, den Alltag mit und unter Frauen zu verbringen. Für die vorliegende Arbeit werden diese vielfältigen Beziehungen als „intim“ gefasst, um sie als nahe und vertraute Verhältnisse analysieren zu können, ohne sie schablonenhaft als freundschaftlich, romantisch oder sexuell zu definieren.Eine bedeutende Rolle für dieses Leben unter Frauen spielte die Kategorie der Respektabilität, die zugleich keine fixe Größe bildete, sondern Gegenstand permanenter Aushandlung war. Ob eine Beziehung oder ein Verhalten als „respektabel“ galt oder nicht, war in dieser frauenbezogenen Lebenswelt wesentlich wichtiger als die Frage nach einer womöglich praktizierten sexuellen Beziehung. Die Distinktion zwischen Homo- und Heterosexualität wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die entstehende Sexualwissenschaft eingeführt und popularisiert. Diese nach und nach an Bedeutung gewinnende Polarisierung stellte – so eine zentrale These dieser Arbeit – die intimen Beziehungen innerhalb der Frauenbewegung in neue normative Deutungszusammenhänge und stieß vielfältige Debatten um Lebensentwürfe an.