Campus Westend, Goethe Universität
In den letzten Jahrzehnten haben komplexe gesellschaftliche Umbrüche und rechtliche Veränderungen, die sich u.a. mit Stichworten wie Enttraditionalisierung, Individualisierung und Globalisierung fassen lassen, zu verstärkten Auseinandersetzungen mit identitätspolitischen Forderungen nach der Anerkennung von Differenz sowie der Gleichberechtigung nicht hegemonialer Lebensweisen und Wissensformen geführt.
Auch im universitären Kontext werden mit sozialen Bewegungen verbundene Formen der Wissensproduktion stärker sichtbar und stellen universalistische Konzeptionen von Wissen, Wissenschaft und Wahrheit infrage. So weisen intersektionale, rassismus- und klassismuskritische, feministische, geschlechtertheoretische, sowie post- und dekoloniale Interventionen seit vielen Jahren darauf hin, dass die Entwicklung der modernen Wissenschaften nicht von politischen und gesellschaftlichen Prozessen getrennt werden kann, und zeigen, wie die Grenzen zwischen mehr und weniger autorisiertem Wissen durch ebendiese miterzeugt werden. Und auch innerhalb der Sozialwissenschaften kommt die Forderung auf, zentrale Referenzen auf Philosophien der Aufklärung auf ihre androzentrischen und kolonialen Bezüge zu befragen.
Wessen und welches Wissen Eingang in wissenschaftliche Diskurse findet, welche Subjekte und Menschenbilder Theorien mit universalem Aussagecharakter zugrunde liegen, und ob die alleinige Konzentration auf rationale Wissensbestände nicht andere Wissensbestände marginalisiert oder auslöscht, steht heute – nicht zuletzt im Kontext gegenwärtiger Diskurse zum Klimawandel, zu planetarischem Denken, zu globalen, digitalen, gesellschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Transformationsdynamiken – zur Diskussion.
Aktuelle Auseinandersetzungen über Wahrheit, Wissen und Bildung machen deutlich, dass differente Weltsichten und Erfahrungsräume zunehmendkontrovers strukturiert sind. Das zeigt sich nicht zuletzt an der Umstrittenheit akademischen Wissens selbst: So werden einerseits vielfach Wissenschaftler*innen zum Ziel politischer Unterdrückung und Anfeindung seitens derer, die zugleich „Meinungsfreiheit“ und den gesellschaftlichen „Status Quo“ verteidigen.
Andererseits werden Positionen und Forschungen von Wissenschaftler:innen, die fachlich zurecht von anderen kritisiert werden, bisweilen öffentlich große Aufmerksamkeit geschenkt. Zugleich lässt sich eine zunehmende Diversifizierung von (Sprecher*innen-)Positionen konstatieren. Diese Verschiebungen und Verhandlungen lassen sich auch für Diskurse über Bildung und Erziehung aufzeigen. Sie haben Konsequenzen für Methoden und Methodologien der Erziehungswissenschaft, da diese nicht als neutrales „Werkzeug“ verstanden werden können und in ihren jeweiligen Entstehungskontexten und ihrer Verwendungsgeschichte reflektiert werden müssen.
Die qualitative Bildungs- und Biographieforschung hat sich der Aufgabe verschrieben, subjektive Perspektiven und gesellschaftliche Erfahrungsräume zu fokussieren. Sie bietet damit Anschlussmöglichkeiten für intersektionale, post- und dekoloniale sowie feministische, klassismuskritische und rassismuskritische Forschung.
So geht es in der qualitativen Bildungs- und Biographieforschung grundsätzlich um Fragen der Standortgebundenheit und der Positionalität von Forschenden und Beforschten sowie die Situiertheit von Theorien, Methoden und Methodologien sowohl im Hinblick auf das forschende und sie verwendende Subjekt als auch im Hinblick auf die Konstruktion des Gegenstands und des Subjekts der Forschung. Jedoch wurde angesichts unterschiedlicher – nicht unbedingt minoritärer – weniger hegemonialer Subjekte und Gruppen auf Erkenntnislücken hingewiesen bzw. gezeigt, dass bestimmte Daten, Interpretationen und Perspektiven marginalisiert oder dethematisiert werden.
Intersektionale, post- und dekoloniale sowie feministische Methoden und Methodologien stellen die Universalität und Objektivität von Wissen und Wissenschaft zur Diskussion und verweisen auf die Kontextabhängigkeit von Erkenntnisproduktion, die auch die Auswahl von Forschungsfragen bzw. Analysewerkzeugen beeinflusst. Die QBBF-Tagung 2024 möchte aktuelle Weiterentwicklungen solcher Debatten in den Mittelpunkt der Diskussionen stellen.
Die Anmeldung zur Veranstaltung ist ab dem 05.07.24 über den folgenden Link möglich:
www.conftool.com/Wissensordnungen-in-der-Erziehungswissenschaft2024
Weitere Informationen zur Tagung finden sich auch auf der zugehörigen Website:
www.dgfe.de/sektionen-kommissionen-ag/sektion-2-allgemeine-erziehungswissenschaft/kommission-qualitative-bildungs-und-biographieforschung/jahrestagung-2024
Anhang | Größe |
---|---|
DGfE - QBBF Tagungsprogramm 2024 | 612.32 KB |